«Die magnetischen Felder» ist der erste Text, der unter konsequenter Anwendung einer Technik entstanden ist, die später zur surrealistischen Technik par excellence werden sollte: dem automatischen Schreiben. Unter dem Eindruck des sinnlosen Menschenschlachtens des Ersten Weltkrieges hatten sich André Breton und Philippe Soupault auf die Suche nach einer neuen Literatur jenseits aller sprachlichen Konventionen begeben. Oberstes Gebot war dabei, dass der Text unter Ausschaltung rationaler Überlegungen jeglicher Art entstehen musste.
André Breton beschreibt diese Form der Automatisierung des Schreibens im «Manifest des Surrealismus» im Jahre 1924 wie folgt: «Reiner psychologischer Automatismus, durch den man mündlich oder schriftlich oder auf irgendeine andere Weise den wirklichen Ablauf des Denkens auszudrücken sucht. Denk-Diktat ohne jede Kontrolle durch die Vernunft, jenseits jeder ästhetischen oder moralischen Bedenken.» Inhaltlich scheinen die neun Kapitel des surrealistischen Werkes auf den ersten Blick gänzlich ohne jeden Sinnzusammenhang zu sein, muten dabei möglicherweise gar wie eine Form vollkommener Willkür an, ähnlich den Werken des Dadaismus. Häufig mit einem Traum verglichen, zeichnet sich das literarische Werk durch eine reichhaltige Textur sowie eine starke Bildhaftigkeit aus.
Wird der Blick auf die inhaltliche Aufteilung der Co-Autorenschaft innerhalb des Werkes gerichtet, lässt sich kein stringentes Muster erkennen: Das erste Kapitel wurde alleine von Soupault verfasst, das zweite von Breton. Die folgenden Kapitel entstanden gemeinsam, in einer Art Dialog. Das vorletzte Kapitel stammt wiederum alleine von Breton, das letzte von Soupault.
Vor dem Hintergrund des gegenwärtigen Zeitalters kollaborativ arbeitender Gefüge und Strukturen scheint dieses Experiment von seltsam anmutender Aktualität. Auffallend ist hierbei, dass es gewisse Parallelen zwischen der experimentellen und kollaborativen Herangehensweise von Breton und Soupault, sowie einigen Aspekten des heutigen kollaborativen Arbeitens in der Kreativbranche gibt.
Die surrealistische Technik des automatischen Schreibens, bei der Gedanken und Ideen ohne Zensur oder Vorüberlegung niedergeschrieben werden, kann durchaus mit modernen kreativen Prozessen verglichen werden, die darauf abzielen, Ideen spontan zusammenzutragen, ohne hierbei starken strukturellen Vorgaben zu folgen und somit unkonventionelle Ansätze zu fördern. Darüber hinaus bildet die gestalterische Form kreativer Emanzipation die Grundlage, sich von Konventionen zu befreien. In Breton und Soupaults Werk ist keine klare Handlungsstruktur zu erkennen, die inhaltliche Abhandlung erfolgt daher basierend auf dem ungehemmten Gedankenfluss der beiden Autoren. Hieraus lässt sich die Vermutung ableiten, ob nicht im gegenwärtigen Dasein gestalterischen Arbeitens ein gedanklicher Raum für unkonventionelle Denkweisen mit ähnlichen Verfahren geschaffen werden könnte. Zu beachten ist hierbei, dass sowohl die surrealistische Bewegung, als auch die moderne kollaborative Kreativarbeit ihre eigenen spezifischen Kontexte haben. Während die Avantgarde der surrealistischen Bewegung der 1920er eine Auflehnung gegen gesellschaftliche Normen basierend auf der Ausdrucksform der Rebellion verfolgt, zielt die heutige kollaborative Kreativarbeit darauf ab, Lösungen in einem zunehmend vernetzten und interdisziplinären Umfeld zu schaffen.
Ausgehend von André Bretons und Philippe Soupaults literarischem Werk, knüpft das hier gezeigte Projekt an das Resultat des automatischen Schreibens an und wagt den Versuch, die Verknüpfung von Inhalt und äußerer visueller Erscheinung zu hinterfragen. Der starken Bildhaftigkeit der Sprache wird eine abstrakte typografische Formgebung gegenübergestellt, wodurch eine Diskrepanz zwischen Inhalt und Schrift entsteht. Die resultierende Publikation visualisiert somit ein Spannungsfeld zwischen Systematik und konzeptueller Willkür. Basierend auf der literarischen Binarität des von zwei Autoren «automatisiert» geschaffenen Originalwerkes, wird auch die gestalterische Ebene binär verhandelt. Zwei Gestalter*innen treten in einen typografischen Dialog, wodurch ein synergetisches Vice-Versa-Verhältnis entsteht, welches jedoch keine Auskunft über die Urheberschaft gibt und die Betrachtenden diesbezüglich bewusst im Unklaren lässt.