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Lea Spiess: Frauen in der Schriftgestaltung – eine kurze Geschichte

Abb. 1: Typografisches Archiv, Museum für Gestaltung Zürich. Fotografie: Alicia Godel
Abb. 1: Typografisches Archiv, Museum für Gestaltung Zürich. Fotografie: Alicia Godel

Der Raum war kalt und da gerade die monatlichen Periodenschmerzen kickten, fand ich es schwierig, mich auf den Inhalt der spannenden Führung einzulassen. Wir befanden uns im Archiv des Museums für Gestaltung. Meine Leidenschaft lag auf dem Tisch: Verschiedene typografische Handskizzen und Entwürfe. Für mich ein Paradies, die geschwungene Linien exakt zu Papier gebracht. So wollte ich arbeiten, mich im Detail verlieren und die Geschichten dieser grossen Ideen aufsaugen. Aber wieso überhaupt beginnen, wenn mein technisches Verständnis als Gestalterin nicht ausreicht?

Dieser Eindruck stellte sich ein, als Namen fielen, bereits bekannte, neue, doch Frauen fehlten. Wir fragten nach: Wir wollten wissen, warum uns nur Entwürfe von Männern zur Verfügung stehen. Gab es keine Frauen in der Geschichte der Schriftgestaltung im Raum Zürich, die im Archiv vertreten sind?

Die Antwort war alles andere als zufriedenstellend: Frauen seien im Archiv vorhanden, das sei aber alles schon mal gemacht worden und es sei ja sowieso so, dass Männer technisch interessierter seien. Wir, vier Frauen meiner Klasse, schauten uns fragend an. Uns stand eine Schriftgestaltung vor, ein Revival eines von uns ausgewählten Entwurfes. Aber wieso unter diesen Voraussetzungen überhaupt beginnen? Zynismus füllte mich aus, von dem ich mich lösen musste, um den gestalterischen Prozess voranzutreiben. Ich begann das Projekt des Revivals und recherchierte nebenbei über Frauen in der Schriftgestaltung.

Abb. 2: Walter Diethelm, Entwurf für Breite Grotesk (1956). Quelle: Archiv des Museums für Gestaltung Zürich
Abb. 2: Walter Diethelm, Entwurf für Breite Grotesk (1956). Quelle: Archiv des Museums für Gestaltung Zürich

Cheryl Buckley beschreibt in ihrem Aufsatz «Made in Patriarchy: Toward a Feminist Analysis of Women and Design» (1986) die Rollen einer Gestalter*in folgendermassen: Design ist ein kollektiver Prozess. In den verschiedenen Phasen einer Designentwicklung sind viele Menschen involviert. Die Interaktionen innerhalb gesellschaftlicher Strukturen müssen untersucht werden, um die Bedeutung eines Designs zu verstehen. Der Gedanke von Gestalter*innen als alleinigen Schöpfer*innen wird durch komplexe Designprozesse infrage gestellt. Man sollte der Gesellschaft dienen und Dinge elegant und lesbar gestalten. Für Individualismus gibt es keinen Platz. Es ist nicht die Aufgabe von Gestalter*innen, sich vor der eigenen Arbeit zu präsentieren.

Frauen waren in verschiedenen Schrifthersteller-Firmen in ganz Europa angestellt. Sie arbeiteten täglich an der Entwicklung und der Herstellung von Schriften. In der Geschichte des Designs, einschliesslich der Typografie, wird jedoch noch heute ein Fokus auf den Designer als Urheber des Endproduktes gelegt. So gelten Männer oft als Autoren der Schriften, während die Arbeit der Frauen kaum beachtet wird.

Heute ist das Gestalten einer Schrift nicht mehr notwendigerweise ein kollektives Schaffen. 1950 war Monotype in vier unterschiedliche Abteilungen gegliedert: Anordnung der Matritzengehäuse, die Zeichnungsabteilung, die Kartenabteilung und die Wachsschneideabteilung. Heute reichen für die Herstellung einer Schrift theoretisch ein Computer und das passende Programm.

Abb. 3: Lea Spiess, Neue Breite, Modul Type Design ZHdK 2024
Abb. 3: Lea Spiess, Neue Breite, Modul Type Design ZHdK 2024

Für mein Revival von Walter Diethelms Breiter Grotesk (1956) musste ich Entscheidungen treffen, änderte Kurven und schärfte Details. Zugleich war es mir wichtig, mich mit der Arbeit von Frauen in der Geschichte der Schriftgestaltung zu befassen, um meine Rolle als Gestalterin besser einschätzen zu können.

Das Resultat wurde durch meine eigene Wahrnehmung geprägt. Es entstand eine neue Schrift, gestaltet von einer Frau. Oder ist es doch eher eine Schrift von einem Mann, digitalisiert von einer Frau? Für mich sind das offene Fragen.

Verwendete Literatur:

Cheryl Buckley, «Made in Patriarchy: Toward a Feminist Analysis of Women and Design», Design Issues vol. 3, no. 2 (Cambridge, MIT Press: Autumn 1986)

Fiona Ross, Alice Savoie, Helena Lekka, «Women in Type», https://www.women-in-type.com/articles/monotype-type-drawing-office [zuletzt aufgerufen am 26. Mai 2024]