Die aus der 1853 gegründeten Schweizer Industriegesellschaft entstandene Firma Sig Sauer zählt zu den grössten Schusswaffenherstellern der Schweiz. Seit 1998 zudem mit einem Standort in New Hampshire, entwickelte sich Sig Sauer auch in den Vereinigten Staaten zu einem der bedeutendsten Waffenproduzenten und -exporteuren. Für das Logo der erfundenen Marke Sig Sister kombinierte ich den von Sig Sauer abgeleiteten Namen mit dem Aussehen von Spielzeugmarken für Mädchen. Kann die Arbeit als Kritik betrachtet werden, wenn Produkte wie die von mir dargestellten tatsächlich existieren?
Spielzeugmarken, die Jungen als Zielgruppe ansprechen sollen, bedienen sich oft einer visuellen Sprache, die sich die Ästhetik von Krieg und Militär aneignet. Resultat davon sind realistische Nachbildungen von Waffen, Panzern und Polizeiausrüstung, die sich eng an echte Produkte der Rüstungsindustrie anlehnen. Im Kontrast dazu stehen Spielzeuge für Mädchen, die Unschuld, Lieblichkeit und Fürsorge vermitteln. Durch rosa Farbtöne und runde Formen werden die angeblich zurückhaltenden, ängstlichen und braven Charakterzüge von Mädchen unterstrichen. Indem ich mit Mädchen assoziierte Designelemente mit diversen Schusswaffen kombiniere, treibe ich den Kontrast zwischen Unschuld und Gewalt auf die Spitze. Das Resultat ist eine überspitzte, verstörend wirkende Kombination, die als Kritik verstanden werden kann.
Wechselt man jedoch den kulturellen Kontext, wird aus zugespitzter Kritik eine simple Abbildung der Realität. In der Schweiz werden Spielzeugwaffen hauptsächlich als solche angesehen. Währenddessen werden Spielzeugwaffen in den USA, insbesondere Pistolen und Gewehre, als Vorbereitung auf echte Schusswaffen und als Training zur Selbstverteidigung vermarktet. Entsprechend noch stärker an echte Schusswaffen angelehnt, sollen die Spielzeugwaffen bereits Kleinkinder im Alter von drei Jahren den Umgang mit einer echten Schusswaffe lehren. Sie sind eine Vorbereitung auf Schusswaffen wie das halbautomatische Gewehr JR-15, vermarktet als «sicheres Kindergewehr» und beworben unter dem Slogan «Get ’em one like yours». Aufgedruckt auf dem Gewehr für 389 Dollar: Ein in Comic-Stil gezeichneter Totenkopf mit Schnuller, mit Irokesenschnitt für Jungen oder pinken Schleifchen und zwei blonden Zöpfen für Mädchen. Das Modell stellt eine Kinderversion der Kriegswaffe AR-15 dar, die bei diversen Massenmorden wie dem School Shooting an der Hook Elementary School – mit 28 Toten, darunter 20 Kindern – eingesetzt wurde.
An dieser Stelle wären diverse thematische Exkurse möglich. Ich könnte über den 5-jährigen Jungen aus Kentucky schreiben, der seine 2-jährige Schwester mit seiner eigenen Pistole erschoss.1 Oder über Trent Lott, ehemaliger Senatsvorsitzender und Dana Rohrabacher, ehemaliger Kongressabgeordneter in Kalifornien, die in einem öffentlichen Interview forderten, Kleinkinder in Schulen mit Schusswaffen auszustatten, um ihnen eine Selbstverteidigungsmöglichkeit im Falle eines Amoklaufs zu geben.2 Es sind Geschichten, die für Schweizer Ohren absurd, beinahe unmöglich klingen. Eine Welt fernab von unserer, die sich nicht mit unserer Realität verbinden lässt.
Doch obwohl die kulturellen Umstände stark divergieren, weisen die USA und die Schweiz auch Gemeinsamkeiten auf. Der Anteil an Haushalten, die über Schusswaffen verfügen, weicht in den zwei Ländern nur wenige Prozentpunkte voneinander ab. Und bei der Anzahl Schusswaffentoter pro 1 Mio. Einwohner*innen befindet sich die Schweiz weltweit auf dem zweiten Rang – direkt hinter den Vereinigten Staaten.3 Auch wenn ein deutlicher Abstand zwischen den beiden liegt und die Summe in der Schweiz zu einem grösseren Teil aus Suiziden besteht, lassen die beiden Statistiken dennoch erahnen, welche Wichtigkeit und Bedeutung Schusswaffen sowohl in der Schweiz wie auch in den USA haben.
Als Gestalter*innen werden wir dazu aufgefordert, uns immer wieder die Frage zu stellen, wie unsere Arbeit verstanden werden kann. Welches kulturelle Vorwissen braucht es zum Verständnis der Arbeit und in welchem kulturellen Kontext kann sie funktionieren? Wir sind dazu aufgefordert, die visuelle Wahrnehmung im Rahmen geläufiger Normen zu verstehen und ein Bewusstsein für mögliche kulturelle Missverständnisse zu entwickeln. Die gezeigte Arbeit macht deutlich, wie wichtig es ist, kulturelle Kontexte in Prozess und Endprodukt zu beachten und auch, wie sie bewusst miteinbezogen und genutzt werden können.