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Jelka Freivogel: Strukturelle Ginkgos

Abb. 1 : Jelka Freivogel, Modul Experimentelles Gestalten, ZHdK 2023
Abb. 1 : Jelka Freivogel, Modul Experimentelles Gestalten, ZHdK 2023

Im Städtischen Baumkataster sind alle durch die Stadt verwalteten Bäume akribisch genau in einer Karte eingezeichnet. Wie kleine grüne Stecknadeln reihen sie sich an den Strassen Zürichs auf. Ausser die Bäume, welche in einer Parkanlage stehen, die sind violett. Mit Hilfe dieses Plans kann man, wie bei Datingapps, Alter, Grösse, Adresse und Name eines Baumes, welchen man auf einem Spaziergang angetroffen hat, ermitteln. Dabei kommt dann vielleicht heraus: Der Baum AU-7637, aus der vielköpfigen Familie der Ginkgos, wohnhaft an der Europaallee 4 in Zürich, geboren im Jahr 2019, mit einer bereits spektakulären Grösse von 20 Metern.

Wie geht eine Gesellschaft, die so gestaltet ist, dass sogar die Bäume eine Adresse haben, mit Menschen und Lebewesen um, welche sich nicht so einfach in dieses System eingliedern lassen? Die sich am Rande oder gar ausserhalb der Schubladen, der von uns gezimmerten Kommode der Sozialisierung aufhalten?

Durch die Wahl der Bäume für die Begrünung der kargen Europaallee wird dies veranschaulicht. Nur die beständigsten Bäume eignen sich, um in diesem rohen Umfeld zwischen Beton und Asphalt in die vorgesehenen Quadrate eingepflanzt zu werden: Männliche Ginkgos. Sie sind hitzebeständig, kämpfen mit erstaunlich geradem Wuchs mit den Hochhäusern um einen Platz an der Sonne und produzieren im Vergleich zu ihren weiblichen Kolleginnen keine stinkenden Früchte. Allerdings stellt sich die Frage, weshalb Architekt*innen in einer Stadt, in der die Vegetation und die Lebewesen im Sommer bereits mit starker Hitze zu kämpfen haben, eine ganze Siedlung planen und dazwischen einen zubetonierten Platz bauen lassen, welcher die Erwärmung verstärkt, anstatt dagegen anzukämpfen und einen Ort des Aufatmens zu schaffen. So wird es für manche Pflanzenarten immer schwieriger, sich zu behaupten.

Abb. 2: Jelka Freivogel, Modul Experimentelles Gestalten, ZHdK 2023
Abb. 2: Jelka Freivogel, Modul Experimentelles Gestalten, ZHdK 2023

Auch in der Gestaltung treffen wir auf solche Phänomene der Exklusion. Ständig werden sogenannte «Kompromisse» zu Lasten bereits benachteiligter Personengruppen gemacht. Dies kann kleine grafische Projekte betreffen wie die Konzertwerbung, welche nicht sehenden Menschen verwehrt bleibt, oder die kurzfristigen Störungsmeldungen der SBB, die nur über die Sprechanlage verkündet werden. Allerdings ziehen sich solche Exklusionen weiter bis in die massgeblich entscheidenden Strukturen unserer Gesellschaft.

Auch dies zeigt sich am Beispiel der Europaallee leider hervorragend. Für wen ist dieser öffentliche Platz gebaut? Stolz meinen die Architekt*innen: Für alle. Doch wer ist alle? Auf den Treppengeländern neben dem Skateshop sind kleine silberne Kugeln angebracht, welche die Skater fern halten sollen. Die wenigen Sitzbänke sind durch Armlehnen unterbrochen, um die Obdachlosen am Verweilen zu hindern. Alles ist darauf ausgerichtet, dass diejenigen, die es sich leisten können, möglichst schnell über den Platz in die aus dem Boden gestampften Concept Stores und Kaffeeröstereien eilen können.

Nun nehmen immer mehr Geschäfte kein Bargeld mehr an. Praktisch, oder? Doch wie sollen Personen mit Status F, A oder ohne Aufenthaltsbewilligung ins öffentliche Leben integriert werden, wenn ihnen die Eröffnung eines Bankkontos oder das Abschliessen eines Handyabonnements verwehrt wird?

Abb. 3 : Jelka Freivogel, Modul Experimentelles Gestalten, ZHdK 2023
Abb. 3 : Jelka Freivogel, Modul Experimentelles Gestalten, ZHdK 2023

Verwendete Literatur:

Baumkataster Stadt Zürich, https://www.stadt-zuerich.ch/ted/de/index/gsz/planung-und-bau/inventare-und-grundlagen/baumkataster.html [zuletzt aufgerufen am 26. Mai 2024]